Der Lebensraum Totholz ist eine Welt der Wunder, welcher von der Wissenschaft erst in Ansätzen erforscht wurde. Totholz ist keineswegs „tot“. Schon sein bloßes Vorhandensein wirkt sich positiv auf die Umgebung aus. Totholz fördert dynamische Prozesse. Es beeinflusst und prägt die Morphologie eines Fließgewässers im Kleinen wie im Großen, variiert Strömung und Wassertiefe, bietet Unterschlupf. Dadurch ist Totholz ein wesentliches Strukturelement in unseren Bächen und Flüssen. Hier sollte es deshalb, wo immer möglich, wieder einen festen Platz einnehmen. Denn Totholz bedeutet Leben.

Bäche und Flüsse brauchen Totholz
Bäche und Flüsse brauchen Totholz
Was ist Totholz?

Was der Biber seit Menschengedenken macht, kann nichts Schlechtes sein. Er fällt Bäume ins Wasser, baut Burgen, legt Dämme an und gestaltet damit Gewässerlandschaften neu. Dies kommt unter anderem den Fischen zugute. Also ein Zeichen dafür, dass Bäche und Flüsse Totholz brauchen. Es gehört sozusagen zur unverzichtbaren Grundausstattung eines Fließgewässers, weil es die Strukturvielfalt erhöht.

So ist Totholz nicht nur ein charakteristisches Merkmal natürlicher Wälder, sondern auch ein gewichtiger gewässerökologischer Faktor, der das Erscheinungsbild natürlicher Fließgewässer maßgeblich bestimmt. Durch die Veränderung der Morphologie, des Abflussverhaltens, des Stoffhaushaltes und der Besiedlung hat Totholz Einfluss auf alle wichtigen Systembausteine des Ökosystems Fließgewässer. Zum Totholz zählen abgestorbene, verholzte Pflanzenteile, sämtliches loses Holz, vom feinsten Reisig, über Wurzelstöcke bis hin zum ganzen Baumstamm. Ebenso gehören zum Totholz auch umgestürzte, aber fest verwurzelte Bäume, sog. Sturzbäume, oder abgetriebene und woanders neu austreibende Bäume und Gehölzteile, die – rein biologisch gesehen – noch leben. Totholz wird in der Regel im Fließgewässer mittransportiert und wieder abgelagert.

Totholz ist Leben pur!

Wer sich mit diesem Thema auseinandersetzt, wird irgendwann feststellen, wie paradox der Begriff „Totholz“ im Grunde ist, und das gleich in zweifacher Hinsicht. Denn auch „lebendes“ Holz besteht zu einem Großteil aus bereits abgestorbenen, also toten Zellen. Nach dem Absterben des Holzes beginnt eine Besiedlung mit Tausenden von verschiedenen Arten, die sich bei bestimmten Holzarten über Jahrzehnte hinziehen können. So betrachtet ist lebendes Holz deutlich ärmer an Leben als Totholz! Mehr als 1.400 Käferarten und ihre Larven besiedeln nur jede denkbare ökologische Nische im Totholz. Die Pilze mit etwa 1.500 Arten stellen den Löwenanteil. Über 500 Fliegen- und Mückenarten und zahlreiche andere Vertreter der Insekten tummeln sich ebenfalls dort. Neben den terrestrischen Tierarten ist Totholz ebenso Lebensraum für limnische Ökosysteme. Für die wirbellosen Kleinlebewesen des Gewässerbodens, den so genannten Makroinvertebraten, dient diesen Totholz als Zuflucht, Nahrungsquelle sowie als Ort zur Eiablage und Verpuppung. Vor allem in Fließgewässern mit feinkörnigem Substrat, wie Sand, Lehm, Ton oder Löß, ist Totholz eine unentbehrliche Lebensnische für die Wirbellosenfauna. Viele dieser Tiere sind auf das Vorhandensein von Totholz angewiesen. Über 40 Arten sind eng daran gebunden, weitere 80 Arten nutzen es mehr oder weniger.

Mit zunehmendem Abbau des Totholzes siedeln sich Algen und Mikroben an. Dieser Aufwuchs dient Organismen, die ihre Nahrung aufsammeln oder auf der Oberfläche abweiden. Pilze siedeln sich an und weichen das Totholz auf, sodass Wirbellose, die das Totholz zerkleinern, einzelne Holzpartikel aufnehmen können.

Totholzbesiedler sind zum Teil hoch spezialisiert. Einige Arten bohren Löcher in das Holz, andere höhlen es aus und sorgen so zusammen mit den Zerkleinerern für den Abbau im Gewässer.

Wohin man auch blickt, überall stößt man auf eine schier grenzenlose Artenfülle. Totholz ist damit Leben pur, Leben in überschäumender Fülle. Seine fundamentale ökologische Bedeutung ist lange verkannt worden. So ist Totholz noch eine Welt voller Wunder, die von der Wissenschaft erst in Ansätzen erforscht wurde. Heute besinnt man sich darauf und erkennt, dass Totholz zum Leitbild eines intakten Flusses ebenso gehört wie die angrenzende Aue.

Bäche und Flüsse brauchen Totholz
Bäche und Flüsse brauchen Totholz
Die Bedeutung von Totholz für die Gewässerstruktur

Viele Fließgewässer in Mitteleuropa wurden durch anthropogene Einflüsse schwerwiegend verändert. Auewälder entlang von Bächen und Flüssen wurden weitgehend entfernt und die so entstandenen Flächen teils zu landwirtschaftlicher Nutzfläche, teils zu Baugebiet umfunktioniert. Die Gewässer selber erfuhren Begradigungen, Kanalisierungen und Einleitungen verschiedenster Art. Und die Folge ist: Das natürliche Erscheinungsbild unserer Bäche und Flüsse ist heute kaum mehr rekonstruierbar.

Eines dieser zentralen Charakteristika für ein natürliches Fließgewässer ist eben das Totholz. Unter ökologischen Gesichtspunkten kommt dem Totholz eine Schlüsselstellung zu, denn es wirkt in zweierlei Hinsicht: biologisch und mechanisch.

  • Biologisch, weil Totholz das Angebot an Lebensnischen für Tiere und Pflanzen signifikant erhöht und dadurch ein enormes Artenreichtum bewirkt.
  • Mechanisch, weil Totholz die Hydromorphologie eines Fließgewässers prägt und die Strukturvielfalt erhöht.

Diese beiden Faktoren tragen wesentlich zur ökologischen Aufwertung unserer Bäche und Flüsse bei.

Totholz verändert auf kleinstem Raum die Strömungs- und Sedimentationsverhältnisse und fördert so die eigendynamische Entwicklung des Fließgewässers. Besonders in kleinen Fließgewässern mit hohem Gefälle können Einzelstämme und Ansammlungen von Zweigen (Geniste) die Strukturvielfalt im Fließgewässer entscheidend erhöhen. Sie wirken wie kleine Staudämme und führen zu einer Verminderung des Gefälles auf kurzer Strecke und begünstigen so die Ausbildung von Sohlstufen- und Sohlschwellen mit anschließendem Wasserspiegelsprung.

Als Resultat stellt sich ein kleinräumiger Wechsel von langsam zu schnell strömenden Fließverhältnissen ein. Festsitzendes Totholz, wie beispielsweise umgestürzte Uferbäume, bewirkt nicht nur den Aufstau, sondern auch die Ablenkung der fließenden Welle vorbei an dem Strömungshindernis. Je nach Lage können die Stämme so eine Laufverlagerung des Gewässers bewirken, was zu einer seitlichen Verschiebung des Stromstriches führt und das Mäandrieren des Gewässers unterstützt. Im Strömungsschatten solcher Gebilde lagert sich wiederum mitgeführtes Material ab. Es entwickeln sich Schlamm- , Sand- und Kiesbänke, die neue Lebensräume darstellen. Unterhalb solcher Bereiche bilden sich aber auch Abschnitte mit höherer Strömungsgeschwindigkeit, was zur Entstehung von Kolken, Steilufern und Abbruchkanten führen kann. Dadurch nehmen Vielfalt und die ökologischen Nischen im Bach und Fluss zu. Eine verstärkte Tiefenerosion wird vermieden und vor allem kleinere Hochwasser werden durch immer wieder auftretende Totholzbarrieren abgepuffert.

Fische brauchen Totholz als Laichplatz, Schutz- und Lebensraum

Die Bedeutung des Totholzes beschränkt sich jedoch nicht allein auf die Beeinflussung der Struktur des Fließgewässers. Vielmehr hat die Veränderung der morphologischen Faktoren durch Totholz auch Auswirkungen auf die Biozönosen im und am Gewässer.

So bieten die langsam fließenden Bereiche im Strömungsschatten größerer Totholzstrukturen Lebensraum für verschiedene Vertreter der Wasserkäfer (Hydrophilidae) und für spezielle Wirbellose, darunter insbesondere Larven der Eintagsfliege (Ephemeroptera) und der Köcherfliege (Trichoptera). Diese sind unter anderem Nahrungsgrundlage für Jungfische.

Allgemein bevorzugen Fische die strömungsberuhigten Zonen von Totholzstrukturen als Einstand, sowohl bei normalem Abfluss wie bei Hochwasser. Insbesondere kleinere Totholz-Ansammlungen, sog. „Geniste“, bieten geschützte Laichplätze und für Fischbrut und Jungfischen eine optimale Rückzugs- und Unterstellmöglichkeit, da sie hier Schutz vor ihren Fressfeinden finden und die Gefahr, von der Strömung verfrachtet zu werden, geringer ist. Verschiedene Totholz-Projekte haben diesen Zusammenhang eindeutig nachgewiesen.

Ausblick

Durch die wasserbaulichen Tätigkeiten der letzten hundert Jahre ist die Anwesenheit von Totholz zur Ausnahme geworden. Unsere meist ausgebauten und aufgeräumten Fließgewässer dienen vornehmlich dem geregelten Abfluss der „freien Vorflut“. Durch Artensterben und Hochwasserkatastrophen lassen sich die strukturellen Defizite der Gewässersysteme am deutlichsten erkennen. Die Erhaltung bzw. Wiederherstellung natürlicher oder naturnaher Bäche und Flüsse bietet eine Möglichkeit, diesen gemachten Fehlern entgegenzuwirken. Hier kommt dem natürlichen Eintrag oder dem Einbau von Totholz eine besondere Bedeutung zu. So lässt sich durch den gezielten Einbau von Totholz eine Revitalisierung unserer Gewässer mit geringem technischen und finanziellen Aufwand erzielen. Es liegt nun an uns, die gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen, das heißt, „Renaturierung ja, aber mit Totholz!“ Bekanntlich ist es ein vorrangiges Anliegen der Fischereiverbände, die Biodiversität in den aquatischen Lebensräumen zu erhalten, zu pflegen und zu vermehren, weil dies die Grundlage für eine auf Nachhaltigkeit gerichtete fischereiliche Nutzung der Gewässer bildet.

Hinweis auf weiterführende Literatur

Allen, die für Fließgewässer verantwortlich sind, die Fließgewässer nutzen oder bewirtschaften sowie diejenigen, die sich für ökologische Verbesserungen einsetzen oder sich intensiver mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzen wollen, möchte ich die folgende Broschüre wärmstens empfehlen: „Totholz bringt Leben in Flüsse und Bäche“. Herausgeber sind das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU), zusammen mit dem Landesfischereiverband (LFV) Bayern e.V. Die Autoren sind Michael von Siemens und Dr. Sebastian Hanfland vom LFV Bayern e.V., sowie Walter Binder, Manfred Herrmann und Werner Rehklau vom LfU Bayern. Die Broschüre umfasst 56 Seiten. Auf den ersten 19 Seiten wird auf die Bedeutung von Totholz in Fließgewässern in einer sehr verständlichen Form eingegangen, ebenso auf Gewässerunterhaltung und rechtliche Vorgaben. Die restlichen Seiten bringen praktische Beispiele für den richtigen Umgang mit Totholz, damit Totholz wieder Leben in Bäche und Flüsse bringen kann.

Die Broschüre kann kostenlos bezogen werden beim:

Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU),
Bürgermeister-Ulrich-Straße 160
86179 Augsburg
Tel. (0821) 9071-0
oder über E-Mail bestellen: poststelle@lfu.bayern.de

Von Dr. Erich Koch, Altshausen