Pilotanlage des Landes NRW am RWE-Kraftwerk Unkelmühle an der Sieg erleichtert die Wanderung der Fische schonend – Optimierter Fischaufstieg und -abstieg soll neue wissenschaftliche Erkenntnisse bringen – Millionenprojekt ist deutschlandweit einmalig.

Vor dem Hintergrund der Energiewende kommt der Stromgewinnung aus regenerativen Energiequellen eine besondere Bedeutung zu. Die Nutzung der Wasserkraft ist dabei durchaus nicht unumstritten. In der Fachwelt tobt seit Jahren ein erbitterter Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern bei dieser Art der Stromgewinnung. Besonders die Fischereiverbände haben sich dem Kampf gegen die negativen Folgen dieser Technik auf die Fahnen geschrieben.

Schutz vor dem Turbinentod

Diverse Untersuchungen an deutschen Flüssen hatten in der Vergangenheit ergeben, dass ein Großteil der an einer Kraftwerksanlage ankommenden Fische durch die Gitterrechen vor der Turbine gequetscht und anschließend in den Turbinen regelrecht gehäckselt wurden. Ein Horrorszenario besonders für die Flüsse, in denen man seit Jahren mit erheblichem Aufwand versucht, bedrohte Wanderfischarten im Rahmen von Artenschutzprojekten wieder anzusiedeln, wie zum Beispiel den Lachs.

Aber nicht nur dieser ist betroffen. Auch weitere wandernde Süßwasserfische ziehen die Flüsse hinauf und hinunter. Wie man nun die Situation an den bestehenden Wasserkraftanlagen entschärfen kann, soll die neue Pilotanlage des Landes am RWE-Kraftwerk Unkelmühle sicher stellen. Dabei griffen die Planer auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Wanderverhalten der Fische zurück. Besonders im Focus standen dabei der bedrohte Aal und der Lachs. Beides Arten, die einen komplizierten Lebenszyklus haben und im Laufe ihres Lebens tausende von Kilometern zurücklegen.

In der Vergangenheit hatte man bereits in den 90iger Jahren versucht, den Fischen die Wanderung siegaufwärts durch Aufstiegshilfen am Kraftwerk zu erleichtern. Zum einen wurde die sogenannte raue Rampe am Siegufer gebaut und zum anderen sollte eine Fischtreppe direkt am Kraftwerksgebäude den Wassertieren die ungehinderte Wanderung ermöglichen. Crux an dieser Technik, an den Fischabstieg, siegabwärts hatte niemand gedacht. Diese Defizite sollen nun mit dem Neubau ausgeglichen werden. Ein Fachbüro aus Aachen konzipierte den Bau.

Die alte Fischtreppe (Denil-Fischpass) ist inzwischen verschwunden und durch einen Neubau ersetzt. Vor dem Turbineneinlauf sollen nun sogenannte Feinrechen – im Winkel von 28 Grad angebracht – (10 mm Rillenabstand) die abwandernden Fische schonend auf verschiedene Abstiegsmöglichkeiten leiten. Der Winkel der Rechen soll den Strömungswiderstand verringern und den Tieren Gelegenheit zum Ausweichen bieten.

Die Aale können über seitlich angebrachte Röhren in unterschiedlichen Höhenhorizonten ausweichen oder aber über eine in Grundnähe angelegte „Bottom-Gallery“, den Weg um das Kraftwerk herum finden. Diese Gallery ist nichts anderes als ein offener Schacht, der auch verschließbar ist. Für die wandernden Junglachse gibt es die Möglichkeit beim Abstieg über Einkerbungen an der Wasserlinie an der Rechenoberkante und dann über eine Abschwemmungsrinne das Hindernis zu umschwimmen. Der Clou dabei: Alle drei Abstiegswege können zur Überwachung so gesteuert werden, dass die abwandernden Tiere in gesonderten Hälterbecken landen und registriert werden. Mit dieser Aufgabe soll ein externes Fachbüro für die Dauer von drei Jahren beauftragt werden.

Den ungehinderten Fischaufstieg am Kraftwerksgebäude soll nun ein neuer sogenannter „Vertical Slot Pass“ gewährleisten. Es sind 29 Betonbecken auf ca. 80 Meter Länge so angeordnet worden, dass die vor dem Kraftwerk ankommenden Fische über eine Lockströmung am Eingang des Passes den Weg nach oben finden können. Dabei haben auch die schwimmschwächeren Arten nun eine Chance das Bauwerk zu passieren, denn am Grund der Becken soll eingebrachtes Geröll Gelegenheit zum Verweilen und Ausruhen anbieten. Am Ausgang – oberhalb der Turbinenanlage – führt für Fische der weitere Weg dann wieder in den Obergraben und zum Weiterschwimmen siegaufwärts. An diesem Ausgang könnte später eine Videoanlage angebracht werden, über die man dann genau sehen kann, wer da denn gerade unterwegs ist.

Von dieser Anlage und ihrer Konzeption erhoffen sich die Fachleute zum einen wichtige Erkenntnisse über das Wanderverhalten der Fische im Jahresverlauf sowie einen deutlichen Schutz vor den Turbinen. Die Praxis wird zeigen, ob der Neubau den Erwartungen entspricht, wobei man davon ausgehen muss, dass die gemachten Erfahrungen in die Optimierung der Technik einfließen werden.

Ergänzungsartikel: Baubeginn der Pilotanlage war im Februar 2011. Mit der Fertigstellung wird im September 2012 gerechnet. Investiert wurden insgesamt 5,5 Millionen Euro. 4,5 Millionen davon trägt das Land NRW, 1 Million Euro steuerte das RWE bei, das im Rahmen der Bauarbeiten auch die Technik im Kraftwerksgebäude sanierte.

Kommentar:

Es ist ein stiller, aber grausamer Tod, den jedes Jahr zig Tausend Fische sterben, die in die Turbinen oder Rechen der Wasserkraftwerke an deutschen Flüssen geraten und zu Tode gequetscht oder gehäckselt werden. Meist stammen die Anlagen aus früheren Zeiten, als man sich noch keine Gedanken über die schädlichen Auswirkungen dieser Technik auf die Wasserbewohner machte. Die effiziente Stromgewinnung stand und steht auch heute im Vordergrund für die Betreiber.

Demgegenüber stehen nun die Bemühungen an der Rheinschiene, den Lachsen und anderen Wanderfischen den ungehinderten Auf- und Abstieg durch die Flüsse zu ermöglichen, möglichst ohne große Verluste an den Turbinenanlagen.

So setzt die neue Pilotanlage an der Sieg Maßstäbe und kann als Beispiel dafür dienen, wie man die Ansprüche aus der Ökologie und Ökonomie unter einen Hut bringen kann. Vorausgesetzt der gute Wille der Betreiber ist vorhanden.

Der ungehinderte Weg für die wandernden Fische in ihren traditionellen Heimatgewässern ist mit Voraussetzung dafür, dass zum Beispiel die Ziele des Wanderfischprogrammes NRW keine bloße Utopie bleiben. Bei der Fisch schonenden Nachrüstung von Auf- und Abstiegsanlagen an Wasserkraftwerken an den Flüssen gibt es einen riesigen Nachholbedarf im Land. Wer aber den Nutzen der Wasserkraft will, darf auf keinen Fall den Schutz der Lebewesen im Wasser ignorieren.

Die heutigen Zustände an den vielen Flusskraftwerken sind alles andere als erfreulich und gehen zu Lasten der Fische, die zurzeit häufig als „Gulasch“ aus den Turbinen herauskommen. Ein unhaltbarer Zustand.

Von Horst Stolzenburg