Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz
Postfach 90 03 65
99106 Erfurt
Sehr geehrte Frau Ministerin Anja Siegesmund, Sehr geehrte Frau Susanne Bauder – Schwartz, für die Zusendung des obigen Entwurfes über den Verteiler der in Thüringen anerkannten Naturschutzverbände und die Möglichkeit zur Stellungnahme möchten wir uns bei Ihnen bedanken.
Grundsätzliches
Bestandteil unserer Stellungnahme ist das Ihnen am 14.09.2016 zugesandte Schreiben, welches bereits auf alle fachlichen Belange im obigen Verordnungsentwurf umfassend eingeht und unser Schreiben an Herrn Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, welches Ihnen von der Staatskanzlei zur weiteren Bearbeitung übermittelt wurde.
Bisher haben Sie leider auf beide Schreiben, in denen wir fachlich fundierte Aussagen zur aktuellen Kormoranproblematik und der akuten Gefährdungslage unserer heimischen Fischfauna treffen sowie Vorschläge im Interesse des Erhalts der Artenvielfalt und eines erfolgreichen Kormoranmanagements unterbreiten, nicht geantwortet.
Auch auf unsere berechtige Frage, ob es sich bei der in Thüringen vorrangig vorkommenden Kormoranart Phalacrocorax c. sinensis um eine in Thüringen heimische Vogelart handelt, erhielten wir zwar eine kurze Mailnachricht, aber bis heute keine fachlich fundierte, zufriedenstellende Antwort.
Grundsätzlich sind viele heimische Fischarten durch die unverändert hohe Anzahl an Kormoranen massiv in ihrer Existenz gefährdet. Dies haben nicht nur verschiedene Gutachten an Thüringer Gewässern, wie an der Ilm, Schleuse oder Ulster, sondern auch in jüngster Vergangenheit, die durch den Freistaat Thüringen im Rahmen der Umsetzung der EU – Wasserrahmenrichtlinie selbst in Auftrag gegebenen Untersuchungen der Fischbestände in ausgewählten Referenzstrecken zweifelsfrei ergeben.
Ohne das ehrenamtliche Engagement und die hohen finanziellen Aufwendungen der Anglerverbände und ihrer Vereine im Gewässer- und Fischartenschutz wäre die gegenwärtig kritische Situation der heimischen Fischfauna noch um ein Vielfaches dramatischer.
Untersuchungen der Weltnaturschutzunion (IUCN) belegen, dass schon heute Fische deutlich stärker gefährdet sind als Vögel oder Säugetiere. So sind nach Angaben der IUCN mehr als ein Drittel der Süßwasserfische in Europa vom Aussterben bedroht.
Auf Grund der deutlich zu hohen Kormoranbestände im Freistaat Thüringen trifft dies auch in besonderer Weise auf unsere heimische Fischfauna zu. Der starke Befischungsdruck durch die Kormorane in den Thüringer Gewässern stellt jegliche Initiativen im Fischartenschutz und mittlerweile auch das Erreichen des guten Zustandes in unseren Gewässern nach den Kriterien der EU – Wasserrahmenrichtlinie in Frage.
Umso unverständlicher ist es, dass der obige Verordnungsentwurf des Thüringer Ministeriums für Umwelt, Energie und Naturschutz versucht, dem Kormoran erneut einen besonderen Schutzstatus einzuräumen und damit eine wirkliche Regulierung des Kormoranbestandes verhindert.
Auch die im Verordnungsentwurf vorgesehene Flächenkulisse „Fischartenschutz“ dient letztendlich vorrangig dem Schutz des Kormorans und bedeutet in vielen Gewässern das Aus für unsere heimische Fischfauna. Unter diesen Vorzeichen lehnt unser Verband dieses Projekt strikt ab, denn sowohl die fachliche Begründung im Verordnungsentwurf ist nicht stimmig, als auch dessen einseitige Zielstellung ist nicht vereinbar mit einem auf den Erhalt der Artenvielfalt ausgerichteten Naturschutz.
Außerdem wäre dafür laut Thüringer Fischereirecht fachlich nicht das TMUEN, sondern die oberste Fischereibehörde im Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft zuständig.
Wir stehen heute tatsächlich vor der grundsätzlichen Frage, ob wir aus volkswirtschaftlicher, sozialer, kultureller sowie ökologischer Sicht einen durch Menschen geschaffenen, derartig hohen Kormoranbestand überhaupt verantworten können.
Es geht mittlerweile nicht mehr allein um die Fragen des Vogel- oder Fischartenschutzes, sondern auch um unzählige Thüringer Bürgerinnen und Bürger, welche sich für gesunde, artenreiche Gewässerlandschaften, einen verantwortungsvollen, nachhaltigen Naturschutz in einer entwickelten Kulturlandschaft sowie für das Gemeinwohl einsetzen.
Dies alles berücksichtigt der vorrangig auf den Schutz einer Vogelart ausgerichtete obige Verordnungsentwurf nicht und wird deshalb vom Landesanglerverband Thüringen e.V. (LAVT) abgelehnt. Wir fordern eine deutliche inhaltliche Überarbeitung, welche der tatsächlichen prekären Situation unserer heimischen Fischfauna gerecht wird.
Grundsätzlich favorisiert der LAVT die Fortführung der aktuell bestehenden Thüringer Kormoranverordnung vom 09. Dezember 2008 unter stärkerer Einbindung von Schutzgebieten.
Nachfolgend unsere Hinweise, Ergänzungen und Einwände zum vorliegenden Verordnungsentwurf im Detail:
§ 2 Einschränkungen
Hier fordert der LAVT als Kompromisslösung die Beibehaltung der bisherigen Regelung im § 2 der aktuellen Thüringer Kormoranverordnung. Dabei ist zu prüfen, ob für den Kormoran Phalacrocorax c. sinensis, welcher nach unserem Kenntnisstand keine in Thüringen heimische Vogelart ist, bei einem so hohen Bestand und den damit verbundenen negativen Auswirkungen für die Gewässerökosysteme, überhaupt eine Schonzeit sinnvoll bzw. aus naturschutzfachlichen Gründen berechtigt ist.
Begründung:
Da die Kormorane in der Regel völlig unerwartet bzw. nicht vorhersehbar die Gewässer anfliegen, müssen die Fischereiberechtigten bzw. Fischereipächter die Möglichkeit besitzen, schnell handeln und die Kormorane sofort vergrämen zu können. Dies wäre bei einer vorherigen Einzelfallgenehmigung durch die unteren Naturschutzbehörden nicht mehr gegeben. In den meisten Fällen käme die Genehmigung zum Vergrämungsabschuss für unsere heimische Fischfauna zu spät.
Bereits in der Vergangenheit hatten wir diese Form der Einzelfallgenehmigung, welche sich jedoch nachweislich nicht bewährt hat.
Die Bearbeitung der Anträge dauerte in der Regel viel zu lange, nicht wenige Anträge wurden abgelehnt und obwohl die Kormorane zwischenzeitlich den Fischbestand stark schädigten, wurde, wenn überhaupt, der Vergrämungsabschuss später nur für wenige Vögel genehmigt. Das Ergebnis war stets eine Katastrophe für unsere heimische Fischfauna.
Übrigens gilt die aktuell noch gültige, deutlich praktikablere Regelung nur außerhalb der Schonzeit und nicht für Schutzgebiete. Auch hier bedarf es momentan der Erlaubnis durch die untere Naturschutzbehörde. Sicherlich für den Erhalt der Artenvielfalt in unseren Thüringer Gewässern keine optimale Lösung. Die Vergrämung zu hoher Kormoranbestände muss im Interesse des Artenschutzes und stabiler Gewässerökosysteme auch in Schutzgebieten möglich sein.
Punkt 3. Flächenkulisse „Fischartenschutz“
Beim ersten Lesen wird der Eindruck vermittelt, dass es hier um Fischartenschutz geht.
Dabei wird gerade in diesem Punkt die Ausrichtung des Verordnungsentwurfes besonders deutlich. Diese Regelung dient vorrangig dazu, den Schutz des Kormorans noch zu verstärken und die Kormoranvergrämung auf möglichst wenige Gewässer zu beschränken. Das Ergebnis wäre, sollte diese Flächenkulisse so umgesetzt werden, eine zusätzliche Bedrohung, ja das Aus für unsere heimische Fischfauna in vielen Thüringer Gewässern.
Die fachliche Begründung für die Einführung einer Flächenkulisse „Fischartenschutz“ zeigt, dass Gesetzmäßigkeiten von Lebensgemeinschaften in Gewässern bzw. deren Wechselwirkungen, besonders bei der arten- und altersklassenmäßigen Zusammensetzung unserer heimischen Fischarten nicht berücksichtigt werden.
Es kann grundsätzlich nicht nur um den Schutz von Rote – Liste – Fischarten oder lokaler Populationen gehen, sondern um den Schutz von Fischlebensgemeinschaften, da zwischen den einzelnen Arten ein starkes Abhängigkeitsverhältnis besteht. Es gibt keine wichtigen oder unwichtigen Fischarten und auch keine unwichtigen Gewässer.
In den Thüringer Gewässern kommen insgesamt 43 Fischarten vor. Davon gelten nur 16 Fischarten als ungefährdet. Dies zeigt deutlich den hohen Gefährdungsgrad unserer heimischen Fischfauna. Da der Kormoran zur Deckung seines Nahrungsbedarfes letztendlich alle Fische fängt, welche im Gewässer verfügbar sind, werden neben gefährdeten oder naturschutzrelevanten Fischarten, auch alle anderen Arten erbeutet.
Wir haben im Freistaat Thüringen keine Einzelfälle von Gefährdungen unserer heimischen Fischfauna, sondern dies betrifft den Großteil der stehenden und fließenden Gewässer.
Der LAVT und seine 230 Vereine fühlen sich dem Erhalt der Artenvielfalt und dem Schutz der gesamten heimischen Fischfauna sowie aller stehenden und fließenden Gewässer verpflichtet. Aus diesem Grund fordern wir die Streichung des Punkt 3. im § 2 Einschränkungen.
Aufhebung des bisherigen § 4
Hier fordert der LAVT die unbedingte Fortführung des § 4 Verhinderung von Brutkolonien.
Begründung:
Nachweislich und in der Begründung des TMUEN auch bestätigt, gibt es immer wieder Brutversuche bzw. kleinere Brutkolonien. Es ist nicht auszuschließen, dass es zukünftig, wie in der Vergangenheit an den Haselbacher Teichen, wieder größere Brutkolonien geben wird. Auf Grund des deutlich zu hohen Kormoranbestandes und die durch diesen im Freistaat Thüringen verursachten Schäden, insbesondere bei unseren heimischen Fischarten, verbietet sich die Zulassung von Brutgebieten aus naturschutzfachlicher Sicht. Eine Streichung des §4 würde in jedem Fall die Bildung neuer Brutkolonien zulassen und dies für eine nach aktuellem Kenntnisstand in Thüringen nicht heimischen Vogelart.
Neuer § 4 Bestandsüberwachung
Der LAVT fordert die Beibehaltung der Formulierung im § 6 der aktuell noch gültigen Thüringer Kormoranverordnung (siehe Begründung §2, Punkt 3.) und lehnt die Folgeänderung, welche im Zusammenhang mit den vorgesehenen Bestimmungen zur Flächenkulisse „Fischartenschutz“ stehen, ab.
Abschließend möchten wir noch einmal drauf hinweisen, dass sich der Kormoran in einem hervorragenden Erhaltungsstatus befindet. Durch seine starke Vermehrung und Ausbreitung in Regionen, die er vorher nicht besiedelte (dazu gehört seit ca. drei Jahrzehnten auch Thüringen) ist er zu einer Tierart geworden, die nachhaltige Schäden in der Kulturlandschaft und insbesondere in den Fischpopulationen verursacht.
Bei objektiver Bewertung liegt keine Gefährdung des Kormorans in Thüringen vor, so dass uns die momentane Vorgehensweise des TMUEN beim Thema Kormoran sehr irritiert.
Sicherlich ist langfristig eine Lösung des Kormoranproblems nicht allein in Thüringen, sondern nur über einen europäischen Managementplan, an dem sich möglichst alle betroffenen europäischen Staaten beteiligen, möglich.
Eine der zentralen Forderungen unseres Verbandes ist eine konsequente „Geburten- bzw. Bestandsregulierung“ in den Brutgebieten. Diese wird inzwischen auch von großen Teilen des EU – Parlamentes und in der Bonner Konvention empfohlen. Jedoch mangelt es bisher an einer effektiven und koordinierten Umsetzung sowie dem Willen und notwendigem Druck der EU – Mitgliedsländer.
Wir halten hier ein gemeinsames Positionspapier aller Thüringer Naturschutzverbände zusammen mit dem Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz an die Bundesregierung und das EU – Parlament für sinnvoll. Denkbar wären Vorschläge für eine sanfte „Geburtenkontrolle“ in den Brutgebieten, bekleidet durch regelmäßige wissenschaftliche Untersuchungen über die Bestandsentwicklung des Kormorans.
Unser Verband hat in jedem Fall großes Interesse an einer sachlichen Diskussion und einem fachlichen Meinungsaustausch. Dabei ist es völlig legitim, dass es zum Kormoran auch unterschiedliche Standpunkte gibt. Jedoch scheint aktuell die fachliche Meinung und die sachlich vorgetragenen Bedenken und Sorgen der Thüringer Anglerschaft beim TMUEN kein Gehör zu finden. Warum dies gerade bei der Kormoranproblematik der Fall ist, erschließt sich uns nicht, da es in anderen Fachbereichen zwischen dem TMUEN und dem LAVT durchaus eine konstruktive Zusammenarbeit gibt.
Mit freundlichen Grüßen
Dietrich Roese
Präsident
André Pleikies
Geschäftsführer