Der Landesanglerverband Thüringen e.V. hatte mit diesem Seminar ein interessantes Forum für den Erfahrungsaustausch zwischen Vertretern der Fischereiwissenschaft, Gewässerwarten der Angelfischerei, Fischerei- und Naturschutzbehörden und –verbänden organisiert. Es fand am 21.11.2015 im Gasthof Schloss Hubertus in Erfurt mit einer erfreulich hohen Zahl von Teilnehmern aus den Vereinen und Vertretern (leider nur 5) unterer Fischereibehörden statt. Der Saal war mit 105 Teilnehmern bis auf den letzten Platz gefüllt. Offensichtlich hatte der Verband mit dem Thema des Seminars, einschließlich der hochkarätigen Vorträge, großes Interesse geweckt.
In Vertretung des Präsidenten des LAVT eröffnete Herr André Zorn (1. Vorstand des ASV Frankenhain e.V.) mit einigen Worten zur Begrüßung die Veranstaltung und übergab die weitere Moderation an Andreas Kirsch.
Das Tagungsprogramm beinhaltete folgende Vorträge:
„Stand der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie – Durchgängigkeit der Thüringer Fließgewässer“
Herr Budnick, stellvertretender Referatsleiter des Referats „Gewässer-schutz, Hochwasser-schutz“ im TMUEN
Zusammenfassung: Neben einigen grundsätzlichen Ausführungen zur EU-WRRL und dem zeitlichen Rahmen ihrer Umsetzung erläuterte der Vortrag anhand der konkreten Situation in Thüringen, welchen Stand die Umsetzung der WRRL momentan erreicht hat. Schon jetzt ist abzusehen, das Thüringen nur unter Ausnutzung aller Verlängerungsoptionen mit einer Zielerreichung nicht vor dem Jahr 2027 rechnet.
„Gute fachliche Praxis fischereilicher Besatzmaßnahmen auf Grundlage der fischereilichen Typisierung und Zonierung der Fließgewässer Thüringens“
Herr Dipl.-Fischereiing. Steffen Zahn, Institut für Binnenfischerei e.V. Potsdam-Sacrow/ Abt. Fisch- und Gewässerökologie.
Zusammenfassung: Im Jahr 2007 wurde vom VDFF die „Gute fachliche Praxis fischereilicher Besatzmaßnahmen“ definiert (BAER et al. 2007). Danach sollte man sich vor jeder Besatzplanung zunächst mit den gewässer- und fischökologischen Grundvoraussetzungen des betreffenden Gewässers auseinandersetzen, weil dies u.U. viel Kraft und Geld der Fischereiausübungsberechtigten sparen kann! Hauptziele der EG-WRRL sowie auch EG-FFH-RL sind der Erhalt bzw. die Wiederherstellung des guten ökologischen Zustandes der Gewässer, wie auch der FFH-relevanten Fisch- bzw. Rundmaul-Populationen. Maßgeblich zuständig sind dafür die Gewässerbewirtschafter – nicht die Fischereiausübungsberechtigten! Dennoch können auch diese durch ihr Tun dazu beitragen, eine Verbesserung der Gewässerbedingungen und Fischgemeinschaften zu erreichen. Im Vortrag wird daher die fachliche Vorgehensweise von der gewässerökologischen und fischökologischen Typisierung und Zonierung bis hin zur Erstellung der Referenz-Fischgemeinschaften (gem. EG-WRRL) für die Gewässer Thüringens vorgestellt. Anhand dieser Basis wird im Hinblick auf die o.g. Entwicklungsziele auf wesentliche Aspekte der Gewässerbewirtschaftung (u.a. Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit, Strukturverbesserungen, Gewässerunterhaltung) und fischereilichen Bewirtschaftung eingegangen (u.a. Besatzplanung, Hegepläne). Zudem wird versucht, auf weitere offene Fragen der letzten Symposien einzugehen – u.a. Prädation durch fischfressende Vögel / Kompensationsbesatz; Attraktionsbesatz und Alternativen; Sinnhaftigkeit fischereilicher Hegepläne oder auch Wasserkraftnutzungen.
„Auswirkungen der Alien-Verordnung (VO (EG) Nr. 708/2007 „Verordnung über die Verwendung nicht heimischer und gebietsfremder Arten in der Aquakultur“ vom 11. Juli 2007) auf die fischereirechtlichen Bestimmungen in Thüringen (Teil 1); „Ausführungs-VO zum ThürFischG (ThürAVO) Ausblick auf wesentliche vorgesehene Änderungen (Teil 2)“
Frau Dipl.-Fischereiing. Sigrun Müller, Referentin Fischerei im TMIL
Zusammenfassung: Im 1. Vortragsteil wurde zunächst die Alien-VO (http://www.portal-fischerei.de/bund/aquakultur/einfuehrung-gebietsfremder-arten-in-der-aquakultur/) in einigen wesentlichen Punkten vorgestellt. In ihren weiteren Ausführungen verwies Frau Müller dann auf relevante Berührungspunkte und gegenseitige Einflüsse zwischen Aquakultur und der Angelfischerei in natürlichen Gewässern. Dabei geht es vor allem um die Eindämmung der Ausbreitung von nichtheimischen Fisch- und Krebsarten in den natürlichen Gewässern und vorbeugende Maßnahmen zur Fischkrankeitsprophylaxe. Wichtiges Ziel ist dabei die Schaffung Seuchenfreie Zonen oder Kompartimente (https://www.jurion.de/Gesetze/EU/32006L0088/50) in geeigneten Einzugsgebieten von Thüringer Fließgewässern. Im 2. Teil stellte Frau Müller die geplanten Änderungen in der neuen „Ausführungs-VO zum ThürFischG (ThürAVO)“ gegenüber der zurzeit noch gültigen Thüringer Fischereiverordnung (ThürFischVO) vor. Mit ihrer Inkraftsetzung ist voraussichtlich im Frühjahr 2016 zu rechnen.
„Niedersächsische Praxisbeispiele zum Erhalt der Fischbestände und dem Schutz vor Kormoranen“
Thomas Klefoth (MSc. Fischereiwissenschaften) Fischereibiologe des Landesverbandes Landessportfischerverband Niedersachsen e.V.
Zusammenfassung: Die niedersächsische Angelfischerei ist prinzipiell dezentral organisiert, sodass die Vereine eigene Fischereirechte halten und ihre Gewässer selbstständig bewirtschaften. Ein Vorteil dieser Organisationsstruktur besteht in den vielfältigen und teilweise sehr innovativen Ansätzen der nachhaltigen Gewässerbewirtschaftung. Nachteile ergeben sich bei inkonsistenter und kleinskalierter Bewirtschaftung von benachbarten Fließgewässerabschnitten. Praxisbeispiele belegen den unterschiedlichen Erfolg dieser Organisationsstruktur. Insbesondere beim Schutz von Salmoniden vor übermäßigem Kormoranfraß kann nur eine großflächige Managementstrategie zum Erfolg führen. Der Landessportfischerverband Niedersachsen e.V. hat deshalb kürzlich ein vereins- und fließgewässerübergreifendes Programm zum Erhalt lokal genetisch angepasster Äschenbestände ins Leben gerufen. Neben dem Erhalt der genetischen Ressourcen sollen die Äschenbestände langfristig und trotz des hohen Fraßdrucks durch Kormorane stabilisiert werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Besatz von Äschen mit parallel laufenden Gewässerrenaturierungen und der Schaffung von Versteckmöglichkeiten und Unterständen sowie der Bestandsstützung in urbanisierten Gewässerabschnitten mit hohen Störungsfrequenzen für den Kormoran. Parallel zu diesen Bemühungen wurden auf dem zweitgrößten Standgewässer Niedersachsens, dem Dümmer See, über drei Jahre hinweg sehr positive Erfahrungen mit der Überspannung von Hafenbecken zum Schutz der Fische vor Kormoranen gesammelt. Auch wenn vergleichbare Vorhaben zum Schutz von Äschen in Fließgewässern nur teilweise erfolgreich waren, soll aus einer Kombination von gelenkter Störungsfrequenz, Gewässerüberspannung, Fischbesatz und paralleler Gewässerrenaturierung erreicht werden, dass die Kormorane durch multiple Faktoren von den besonders schützenswerten Äschenbeständen abgelenkt werden. Die erhoffte Wirksamkeit ergibt sich insbesondere aus der gelenkten menschlichen Störungsfrequenz, bspw. durch Spaziergänger, welche von Wildtieren allgemein als abschreckendes Risiko wahrgenommen wird. Die Erfolgskontrolle der Maßnahmen und das Monitoring der Fischbestände erfolgt neben der Elektrofischerei auch über innovative Erhebungstechniken fischereilicher Aufwände und Fänge der Angler. Abseits der wertvollen Ergebnisse wird so auch die Angelei an den betroffenen Gewässern unterstützt und gefördert.
„Einheimische Fische – was ist das?“ (Eine spannende Zeitreise vom Pleistozän über die Antike bis in die Gegenwart)
Dipl.-Fischereiing. Roland Müller
Zusammenfassung: Was ist ein einheimischer Fisch und gibt es eine Thüringer Fischfauna? Fragen die nicht nur Angler und Fischereiwissenschaftler bewegen, sondern auch Naturschützer. Da es in Deutschland und der EU eine schier unüberschaubare Begriffsvielfalt gibt, können diese Fragen auch nicht schnell und unmissverständlich beantwortet werden. Natürlich kann die Flächeneinheit Thüringen zoogeografisch nicht abgegrenzt werden. Das heute in den drei Flusssystemen, die Thüringen berühren, lebende Arteninventar unterscheidet sich aber deutlich vom Arteninventar des Donaueinzugsgebietes oder von dem der Oder. Aber war das schon immer so, oder hat der Mensch diese Unterschiede zu verantworten? Dieser Frage geht der Vortrag im Kern auf den Grund. Aufzeichnungen über Fischfaunen sind schon aus der Antike bekannt, wie z. B. die berühmte „Mosella“ des Ausonius. Dann folgt eine lange Zeit ohne schriftliche Überlieferung zur Verbreitung von Fischen. Dies ändert sich erst im 15. Und 16. Jh., dem Beginn ordnungsrechtlicher Regelung des Fischfangs. Das 18. Und 19. Jh. bieten uns viele Chroniken mit Beschreibungen von Fischfaunen Thüringer Gewässer. Da Menschen bereits seit der Antike Fische auch über größere Entfernungen transportieren können, ist mit diesen neuzeitlichen Aussagen die Frage nach einer genuinen Fischfauna für den Teil Deutschlands, dem Thüringen zoogeografisch zuzuordnen ist, nicht beantwortet. Wir müssen also viel weiter zurück schauen, wollen wir das Werden der Fischfauna unserer Region begreifen.
Vor ca. 2,4 Millionen Jahren, also zu Beginn des Pleistozäns, war die Entstehungsgeschichte der heute in Europa lebenden Fischarten weitestgehend abgeschlossen. Die Verbreitung der Arten über den Eurasischen Kontinent war aber großen Schwankungen unterworfen. Die dramatischen Klimaveränderungen der Glaziale und Interglaziale (Kalt- und Warmzeiten) haben immer wieder zu einem Verdrängen und zu einer Wiederkehr von Arten im Mittel- und Nordeuropäischen Raum geführt. August Thienemann, einer der bedeutendsten Limnologen des 20. Jh. hat in den 1950iger Jahren die Theorie der glazialen Mischfauna aufgestellt. Er hat damit ein Arteninventar der niemals vergletscherten Bereiche Deutschlands beschrieben. Dieser Bereich ist mit dem heute gebräuchlichen Begriff Mitteldeutschland identisch. Er erstreckt sich vom südlichen Brandenburg bis Mainfranken. Beweise hatte Thienemann für die Richtigkeit seiner Theorie nicht. Die moderne Paläontologie kann diese Beweise heute liefern. Anhand von fossilen Fischresten, die oft sehr gut erdgeschichtlich eingeordnet werden können, lassen sich Fischfaunen des letzten Glazials (Weichselvereisung) und Interglazials (Eemwarmzeit) recht gut darstellen. Noch besser darstellbar ist die Entwicklung der Fischfauna nach der letzten „Eiszeit“ mit Zuwanderung wärmeliebender Arten, die nicht der glazialen Mischfauna angehören. In dem Vortrag werden die Ergebnisse von mehr als 100 wissenschaftlichen Publikationen zu Fischfaunen des Pleistozän und Holozän zusammengefasst. In diesem Zusammenhang kann auch die Frage geklärt werden, ob z. B. der Karpfen eine in Deutschland einheimische Art ist.
Die natürliche Fischfauna der Flusssysteme des Rhein, der Elbe und der Weser, die Mitteldeutschland prägen, war durch Zuwanderung vor ca. 7000 Jahren komplett. S ie ist anhand der paläontologischen und auch archäologischen Befunde darstellbar. Sie ist unsere heimische Fischfauna, die nur kurze Zeit vom Menschen unbeeinflusst war. Die Erkenntnisse, die in dem Vortrag dargelegt werden dienen nicht dem Selbstzweck, sondern können ebenso bei einer sinnvollen und naturnahen Bewirtschaftung von Gewässern helfen, wie bei der Erarbeitung von Wiederansiedlungsprojekten. Sie sollen also eine belastbare Entscheidungshilfe für den Praktiker sein.
Fazit:
Die Veranstaltung hat gezeigt, dass die Angelfischerei prinzipiell mit einer ordnungsgemäßen Hege der Fischbestände i.S. § 2 ThürFischG einschließlich der Anwendung der guten fachlichen Praxis bei Fischbesatzmaßnahmen einen wirksamen Beitrag zur Zielerreichung der EU-WRRL leisten kann. Die rechtlichen Rahmenbedingungen wurden dafür mit der Novelle des ThürFischG im Jahre 2014 gelegt. Konkretisiert für die praktische Ausführung der Fischerei werden sie demnächst mit der neuen Ausführungs-VO zum ThürFischG (ThürAVO). Begrenzt wird dies jedoch zurzeit noch durch eine nach wie vor wirkende Vielzahl von nachteiligen Randbedingungen wie:
- die fehlende Durchgängigkeit und Strukturdefizite bei den meisten Fließgewässern,
- Schäden durch die kleine Wasserkraft,
- zu hohe Nährstoff- und Sedimenteinträge von landwirtschaftlichen Flächen
- und das auf absehbare Zeit nicht nachhaltig zu lösende Problem der Prädation von Fischen insbesondere durch den Kormoran
Allen Vortragenden möchten wir an dieser Stelle für ihre interessanten und aufschlussreichen Ausführungen zum Thema des Seminars danken. Unser Dank gilt auch den Teilnehmern für ihre Aufmerksamkeit und einige interessante Diskussionsbeiträge sowie dem Team der Geschäftsstelle unseres Verbandes und seinen Helfern für die gute Vorbereitung dieses gelungenen Seminars.
Andreas Kirsch
Mitarbeiter LAVT